Eine starke sozialpädagogische Begleitung

Hacer Toprakoglu auf dem Podium "Hoch‐höher‐qualifiziert?! Bildungswege zugewanderter Erwachsener – Hürden und Potenziale"

Hacer Toprakoglu
Foto: Yvonne Sophie Thöne

"Bildung im Gespräch" ist eine Veranstaltungsreihe der Stadt Kassel. Thema am 30. September: die Bildungswege zugewanderter Erwachsener. Hacer Toprakoglu, Geschäftsführerin der BiSI – Bildung und Soziale Innovation gGmbH, war in die Gesprächsrunde eingeladen, die sich mit den Ergebnissen einer Forschungsarbeit über Bildungsbiografien zugewanderter Erwachsener auseinandersetzte.

Hacer Toprakoglu:
"Der defizitäre Blick auf geflüchtete Menschen ist kaum erträglich. Warum fragen wir nicht, was sie an Bildung und Kompetenzen mitbringen? Und sie bringen viel mit. Was Bildungsprojekte besonders brauchen, ist eine starke sozialpädagogische Begleitung. Denn die Fluchterfahrungen und die damit verbundenen Traumata erschweren den Menschen das Lernen enorm."

Wie erleben Menschen, die im Herkunftsland bereits eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, qualifizierende Bildungsangebote in Deutschland? Wird Vielfalt unterstützt? Die Nichtanerkennung ihrer Zertifikate, Abschlüsse und Kompetenznachweise führt neben dem Besuch von Sprach- und Integrationskursen oft zu einer Teilnahme an formalen Bildungsangeboten als notwendige erneute „Re-Qualifizierung“ für den deutschen Arbeitsmarkt. Wo liegen hier Hürden als auch Potenziale – beispielsweise zur biografischen Neu-Orientierung? Welche Stellschrauben können wir in Kassel in der Bildungslandschaft der unterschiedlichen Akteure neu justieren, um Zugänge zu Bildungsangeboten und zum Arbeitsmarkt zu erleichtern?

Milena Prekodravac vom Soziologischen Forschungsinstitut der Universität Göttingen (SOFI) hat für ihre Forschungsarbeit über Bildungsbiografien Interviews mit im Ausland qualifizierten Erwachsenen geführt und stellte in einem Impulsvortrag ihre Ergebnisse vor. Im Anschluss wurden die Erkenntnisse im Gespräch mit Menschen, die in Kassel in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, diskutiert.

Mit dabei:
Moderatorin Doro‐Thea Chwalek, Abteilung Bildungsmanagement und Integration
Dr. Milena Prekodravac, Soziologisches Forschungsinstitut der Universität Göttingen (SOFI)
Hacer Toprakoglu, Geschäftsführerin BiSI – Bildung und Soziale Innovation gGmbH, Kassel
Kay Komkov, Berater des Team Nordhessen der Mobilen Anerkennungsberatung (MoAB)
Omar Dergui, Team der Bildungsberatung, Hessencampus Region Kassel
Teslihan Ayalp, Integrationsbeauftragte der Stadt Kassel

30. September 2022


 

Ein klares JA

Statement von Hacer Toprakoglu

Für diejenigen, deren Zugehörigkeit als selbstverständlich angesehen wird, spielt die Frage der Zugehörigkeit eine andere Rolle als für diejenigen, die als Andere kategorisiert werden und deren Zugehörigkeit umstritten ist oder gar abgelehnt wird. Kulturelle Vielfalt in der Deutschen Gesellschaft sollte als Vielfalt gesehen und erlebt werden. An Gefühlen der Unsicherheiten wäre auf beiden Seiten konstruktiv zu arbeiten. So wie Adorno sagte, sollten Menschen „ohne Angst verschieden sein können“.

Wieso wird die sogenannte doppelte Identität als Zugehörigkeitsdilemma empfunden? Wenn in der Theorie die Frage nach der Zugehörigkeit mit der Anerkennung von hybriden Identitäten, die alles in sich vereinbaren, beantwortet wird und es eine individuelle und gesellschaftliche Bereicherung und Chance ist, dass Menschen bi- bzw. multikulturell sein können, wieso erfahren sie dann noch immer eine stetige Spiegelung ihres vermeintlichen Andersseins durch ihre Außenwelt und stellen sich die Frage „Wer/was bin ich?“?

Doch wie kann das praktisch gelingen, das mehrkulturelle Bewusstsein dieser jungen Menschen zu fördern und Rechts- und Chancengleichheit herzustellen?

Zuerst: Die Antwort auf die Frage nach der gesellschaftlichen Zugehörigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind, muss ein klares JA sein: Dieses Ja bedeutet die Anerkennung von hybriden Identitäten und von Mehrfachzugehörigkeit. Diese Anerkennung – deutsch-türkisch, arabisch-deutsch, muslimisch-deutsch, jesidisch-deutsch, afrikanisch-deutsch usw. – sollte für Heranwachsende in Deutschland eine Selbstverständlichkeit werden. Dann gelingt es leichter, dass aus dieser kulturellen Vielfalt viele Ressourcen für unsere Gesellschaft erwachsen.

Juli 2021